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Geschäftsbücherfabriken Loewenthal und - ab ca 1934 - BRIAG
Eine sub-page zur Geschichte der Geschäftsbücherfabrik T.T.Heinze Brieg
Fassung vom 25.7., leicht überarbeitet am 9.10.2015 und 29.9.2018



Im Jahre 1879 gründete der zuvor in Berlin ansässige, spätere Stadtälteste von Brieg, Wilhelm Loewenthal (1853-1922) mit seinem Bruder Louis (oder Lovis) eine Geschäftsbücherfabrik in Brieg. Die Festschrift der Industrie- und Handelskammer Breslau 1849-1924 (1924 Schatzky-Verlag) verzeichnet auf S. 66: "in Firma ... Loewenthal" Wolf Loewenthal, 18.3.1853-27.1.1922, Stadtrat, Stadtältester" (statt "Wolf" dürfte richtig "Wilhelm" zu lesen sein). Über dieses Unternehmen berichtet Wikipedia unter der Adresse

http://wiki-de.genealogy.net/Brieg_-_Stadt_und_Landkreis_%281964%29/Wirtschaft_und_Verkehr#Gesch.C3.A4ftsb.C3.BCcherfabrik_W._LOEWENTHAL_A.G..2C_Feldstra.C3.9Fe_7

folgendes: Die Herstellung begann in einer kleinen Werkstatt in der Oppelner Straße, wo Loewenthal auch seine erste Maschine aufgetellt hat (so auch "Gerdas Tagebücher 1918-1939", bearbeitet von Maria Gouldsblum-Oestreicher, Hartung-Gorre-Verlag Konstanz, 2010, S. 106) und fand später in der Strafanstalt Brieg sowie seit 1886 auf einem ca 30.000 qm großen Grundstück Feldstraße 7 am Güterbahnhof in einer mächtigen Fabrikanlage statt. Die Belegschaft entwickelte sich von 300 Arbeitern im Jahre 1891 über 1030 im Jahre 1923 auf 579 Köpfe im Jahre 1928. Nach dem Tod von Wilhelm Loewenthal im Jahre 1922 wurde das Unternehmen von dem am 14.3.1884 in Breslau als Sohn von Wilhelm Loewenthal geborenen (siehe http://www.geni.com/people/Wilhelm-L%C3%B6wenthal/6000000015231914351) Stadtrat Walter Loewenthal als Familien-Aktiengesellschaft fortgeführt (siehe auch "Gerdas Tagebücher" a.a.O. passim).

Der Betrachter aus historischer Distanz fragt sich, was die Ähnlichkeit und die Unterschiede im Werdegang der Firmen T.T.Heinze und Loewenthal im Kern ausmacht. Die kaufmännischen Persönlichkeiten von Theodor Heinze und des Loewenthal-Gründers Wilhelm Loewenthal scheinen sich geähnelt zu haben. Von Bedeutung ist sicherlich, dass Loewenthal 1922 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, während die Komplementäre der T.T.Heinze KG persönlich hafteten. Dadurch wurde die Wahrnehmung der Unternehmen in der Geschäftswelt und auch das Selbstverständnis der seitherigen Unernehmensleitungen unterschiedlich geprägt. In der Fabrikstruktur ist ein gewisser Unterschied der Qualität und Großzügigkeit der baulichen Anlagen nicht zu verkennen. Ein Unterschied scheint ferner in einer stärkeren Exportorientierung der Fa. Loewenthal (z.B. nach England - dazu "Gerdas Tagebücher" aaO. S.92, 208) bestanden zu haben. Der vor allem exportorientierte Vertriebsaufwand der Fa. Loewenthal scheint wesentlich größer gewesen zu sein als derjenige von T.T.Heinze: Loewenthal unterhielt eine große Exportabteilung sowie Auslandvertretungen in Amsterdam, Athen, Basel, Jaffa, Jerusalem, Kairo, Belgrad, Brüssel, Buenos Aires, Königsberg, Heilbronn, Bonn und Frankfurt a.M. und Auslieferungslager in Berlin und Hamburg (siehe Heinz Schmidt-Bachem, Aus Papier: eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Papier verarbeitenden Industrie in Deutschland, DeGruyter Saur, 2011, S. 496 ff.) während sich Fa. Heinze mit wenigen angestellten örtlichen Vertretern (sog. "Reisende") begnügte. Auch die Reisetätigkeit der Geschäftsführung der Fa. Loewenthal unter anderem zu den erwähnten Auslandsvertretungen war wesentlich umfangreicher als diejenige der Fa. Heinze (siehe "Gerdas Tagebücher", aaO., passim). Die Exportorientierung könnte für Fa. Loewenthal zeitweise vorteilhaft, gegen Ende der 1920er Jahre jedoch eher nachteilig gewesen sein. Vielleicht hat eine besondere Stetigkeit der Produktion und Preisbildung und die hohe Lieferbereitschaft der Fa. Heinze durch umfangreiche Lagerhaltung und Sonderanfertigungen eine Rolle gespielt, auf die die Geschäftsleitung großen Wert gelegt hat. Ob von Bedeutung ist, dass Loewenthal als Ergebnis der großen Streikwelle Anfang der 1920er Jahre die Löhne wesentlich weniger erhöht hat als T.T.Heinze ("Gerdas Tagebücher", aaO. S. 110 f.) oder dass die erstgenannte Firma Anfang der 20er Jahre in breitem Umfang im Akkord arbeiten ließ, was T.T. Heinze vermied, läßt sich den vorhandenen Informationen nicht entnehmen. Allerdings war auch der persönliche Aufwand der Loewenthals jedenfalls in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg größer (beispielsweise präsentierte sich die Fa. Loewenthal bereits Anfang der 20er Jahre mit einem Direktions-Personenkraftwagen). Von erheblicher Tragweite könnte sich erwiesen haben, daß das Unternehmen in der Zeit ca 1922-1924 umfangreiche Baumaßnahmen an den Fabrikanlagen vorgenommen hat ("Gerdas Tagebücher", aaO. S. 74, 77, 109, 240), was womöglich die Aufnahme erheblichen Fremdkapitals erforderte und zusätzliche Kosten verursachte, die bei T.T.Heinze nicht anfielen. Im Ergebnis hat das Geschäftsvolumen der Fa. Heinze dasjenige der Fa. Loewenthal seit Ende der 1920er Jahre deutlich übertroffen, was in den Belegschaftszahlen zum Ausdruck kam: T.T.Heinze beschäftigte 1928 mit 630 Arbeiter und 92 Angestellte (36) eine um ca 150 Köpfe größere Belegschaft als Fa. Loewenthal. T.T.Heinze war zur größten Geschäftsbücherfabrik Deutschlands geworden.

Die Loewenthal AG war (nach Überlieferung durch Rudolf Heinze) 1932 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten: Ende Januar 1934 fand danach im "Russischen Hof" (in Berlin ?) eine Gläubigerversammlung statt (nach der soeben erwähnten Aufzeichnung war ein Insolvenzverfahren - vielleicht in Form eines Vergleichsverfahrens - eröffnet worden). In einer von der Stadt Goslar (Patenstadt Briegs) im Jahre 1964 herausgegebenen Schrift "Brieg" heißt es auf S. 48, die Fabrik Loewenthal sei 1934 enteignet worden. Ein solcher Vorgang würde in den Zusammenhang der nationalsozialistischen Judenverfolgung passen und könnte sich auch in anderer Form als in einem Enteignungsverfahren abgespielt haben. Die Enteignung jüdischen Geschäftsbesitzes hat allerdings in größerem Umfang erst einige Jahre später (vgl. das Beispiel des berühnten Kaufhauses Wertheim in Berlin, das 1937 enteignet wurde) begonnen (vgl. Katharine Stengl -Hrsg.- "Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus", Campe 2007, Einleitung). Walter Loewenthal hat anlässlich von Brieger Heimattreffen in der Brieger Patenstadt Goslar unter anderem am 6.9.1964 und am 19.6.1966 (vgl. Irrgang a.a.O. S. 342) vier Vorträge über Brieger Geschichte gehalten, deren Material überwiegend der Arbeit von Richtsteig (a.a.O:) entnommen ist. In demjenigen von 1966 hat er auf mögliche Auswirkungen der nationalsozialistischen Parole, nicht bei Juden zu kaufen, auf die Entwicklung der Fa. Lowenthal hingewiesen. Auf die wirtschaftliche Enwicklung des Unternehmens in den 1920er Jahren dürfte sie jedoch kaum wesentlichen Einfluss gehabt haben. Tatsächlich wurde das Unternehmen - wohl 1934 - in die „BRIAG Brieger Geschäftsbücherfabrik AG“ überführt. Die Ereignisse von 1933/1934 hat Walter Loewenthal in seinem Vortrag anlässlich des Bundestreffens Stadt und Landkreis Brieg in Goslar am 6.9.1964 wie folgt skizziert: "So blieb ich trotz aller Warnungen in Brieg an meinem Platz in der Fabrik und den Ehrenämtern als Arbeitsrichter, Vorstand der AOK, des Arbeitsamtes, im Sportclub und im Magistrat, wenn auch frühzeitig im Juli 1933 Bemühungen einsetzten, mich loszuwerden. Sechs Beamte der Breslauer Kriminalpolizei und des Finanzamts Brieg arbeiteten sechs Monate in meinem Betrieb, vom Juli bis 31.12.1933, an dem Studium aller Akten über die letzten zehn Jahre, um irgendetwas gegen mich zu finden. Als sie nichts fanden, wurde ich am 31.12.1933 in Schutzhaft genommen. Nach zwei Monaten Einzelhaft im Gefängnis des Polizeipräsidenten und Gauleiter für Schlesien, Heines, und später in der Graupenstraße in Breslau, entließ man mich mit der Bedingungen, dass ich die Fabrik nicht wieder betreten sollte. Diese war in die Hände meiner früheren Prokuristen übergegangen." Loewentahl berichtet hier noch, dass 1948 "Zahlung der Anteile an meine Familie" erfolgen sollte, die jedoch nicht eingingen; er rechne jedoch mit einer Lastenausgleichsentschädigung. (Maschninenschriftliches Manuskript des Vortrags S. 12.). Auf Auswirkungen nationalsozialistischer Parolen auf die Geschäftsentwicklung der Fa. Loewenthal vor 1933 ist Walter Loewenthal an dieser Stelle nicht zurückgekommen, andererseits ergibt sich aus ihnen, dass nationalsozialistische Umtriebe oder Aktionen gegen die in Brieg durchaus populäre Persönlichkeit des Walter Loewenthal oder seine Familie vor 1933 nicht stattgefunden haben. Walter Loewenthal ist am 2.10.1937 nach England emigriert und hat dort ein neues Unternehmen aufgebaut (siehe http://remember.org/unite/loewenthal.htm). Er ist 1975 verstorben ("Gerdas Tagebücher", a.a.O., Anhang nach S. 314).

Obwohl der Fa. BRIAG nationalsozialistische Unterstützung gewiß war (das indiziert ewa der ihr erteilte Auftrag zum Druck des nationalsozialistischen Werks von Pastenaci - Dozent am Seminar für HJ.-Führer -, "Die großen germanischen Führer", 1939) fiel das Geschäftsvolumen der Firma BRIAG weiter hinter demjenigen der Fa. T.T.Heinze zurück. Zwar wurde Fa. BRIAG vom NS-Regime in den Jahren 1943/1944 dadurch entscheidend bevorzugt, dass T.T.Heinze infolge Beschlagnahme ihrer Betriebsgebäude für Rüstungszwecke (die wohl auch wegen ihrer höheren Qualität denjenigen der Fa. BRIAG vorgezogen wurden) die Produktion im wesentlichen einstellen musste (nur ein kleiner Teil konnte in Räume der Fa. BRIAG verlager werden), während Fa. BRIAG weitergeführt werden konnte. Doch wurden die Fabrikanlagen der Fa. BRIAG im Jahre 1945 ebenso wie die Villa Loewenthal vollkommen zerstört (Druckwerk "Brieg", Hrsg. Goslar, 1964, S. 48), während sich die Beschädigungen der Heinze'schen Gebäude in Grenzen gehalten zu haben scheinen.

Sollte ein Leser dieser Notiz zuverlässige zusätzliche oder abweichende Informationen über die Entwicklung der Firmen Loewenthal und BRIAG seit den 1920er Jahren oder über das Schicksal der Brieger Familie Loewenthal besitzen, würde der Verfasser sie gern in diese homepage aufnehmen.


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